Texte aus " Mystischer Sang - Lyrik und kurze Prosa"

DER ALTE BAMBUSMALER

 

(Ein erbauliches Gedicht am Abend zu lesen

unter Pflaumenblüten)

 

Es wuchsen tausend Formen aus dem Schweigen,

aus dem schwarze Tusche sich ergoss,

und stets aufrecht, ohne sich zu neigen,

so mancher zauberhafter Bambus spross.

 

So schuf der alte Maler, ganz versunken,

Stäbe, Bambusstäbe ohne Zahl,

während in der Ferne Welten trunken

taumelten, gehetzt von Lust und Qual.

 

Seine Tusche, dieses dunkle Blut,

tanzte floss und spritzte,

hochgekocht von schöpferischer Glut,

als ob ein Gott aus Herzen Leben schnitzte,

und selbst ein Untergang noch Welten schuf:

Ein Fließen und doch schon am Erstarren,

ein Schweigen, geballt zu einem Ruf,

ein Sprung gepaart mit dem Verharren,

 

ein Wissen, das jedes Wissen frisst,

ein Chaos, das sich zur Ordnung bindet,

ein Nicht-Sein, das stets und immer ist,

ein Verlust, der überall sich findet,

eine Leere aus der Form gemeißelt,

eine Verzweiflung, die sich Frieden nennt,

eine Seligkeit, die sich selber geißelt

und eine Asche, die auf ewig brennt!

 

So tunkt der Alte alle Jahre

seinen Pinsel in schwarze Tusche ein,

selbst eingetaucht in das Ewig-Wahre

und still sitzend im stillen Bambus-Hain.

 

 

ICH BLEIBE NEU

 

Ich könnte mich aber auch in lange glitzere Winterträume verlieren und einsame Spuren in brautschleierweißen Schnee knirschend setzen und lange in aromatische tief-rote, heiße Tees starren, die mir die Ahnung exotischer Gewürze in die Nase dampfen könnten.

 

Auf der Suche wäre ich dann nach der verlorenen Zeit oder nach Schneeköniginnen, die Universen erstarren lassen mit schönem funkelnden Frost, dass der Sternenhimmel nur noch eine reglose Fotografie hinter ihrem Augenaufschlag bliebe.

 

Und zwischendurch frisst mich der Augenblick auf, der wirbelnde Schneeflocken in die Nachmittage streut.

 

Hauptsache raus fallen aus der Zeit - kindlichen Gemütes! Still stehen. Die Uhren sollen ihr Werk ohne mich tun!

 

Die träge Welle der Zeit soll mich überrollen - ich bleibe neu - wie mein erstes Lächeln.

 



 

 

DER RICHTIGE ORT

 

Die weisen Männer kamen zu Hui-Tso und sprachen mit heiliger Würde: „Du lehrst die Schriften falsch, du verstehst nichts von den Übungen, du kennst die Wahrheit nicht, deine Schüler sind faul, du bedarfst der Belehrung, du wandelst auf Irrwegen und bist ein Kindskopf!"

 

Meister Hui-Tso verbeugte sich brav, froh am richtigen Ort zu sein.

 

 



© Wolfgang Köhn

Auszug aus: DIE WAHRE FARBE - ein Märchen

 

 

Ach so“, sprach Nathanael überrascht, „was für ein Tier ich bin, willst du wissen! Ach ja, du hast ja keine Augen, natürlich. "

 

Ich habe Augen!“, widersprach der alte Stiefel.

 

Lieber Stiefel, ich sehe aber nun wirklich keine Augen an dir. Außerdem, wenn du nicht blind wärest, würdest du ja sehen, welches Tier ich bin.“

 

Na die Sache nun verhält sich so: Ich habe wohl Augen, sehe aber trotzdem nichts. Und übrigens ich bin gar kein Stiefel“, sagte der Stiefel mit Nachdruck.

 

Nathanael kam darüber sehr ins Grübeln: Da behauptete ein Stiefel, kein Stiefel zu sein. Damit aber nicht genug, denn der Stiefel, der angeblich keiner war, behauptete auch noch Augen zu haben, aber dennoch nichts zu sehen. Also entweder er selbst, oder aber der Stiefel war total verwirrt. Vielleicht aber auch war die Welt gänzlich verrückt geworden, seit die wahre Farbe abhanden gekommen war.

 

Höre Stiefel, du bist ein Stiefel und glaubst, dass du keiner bist! Du sagst, du hast Augen, siehst aber nichts. Ich denke, du existierst nur in meiner Einbildung. Was immerhin noch besser ist, als wenn ich in deiner existieren würde. "

 

"Höre, die Sache lässt sich ganz einfach aufklären: Ich bin ein Tier!“, behauptete der Stiefel wider aller Vernunft.

 

Nathanael musste unwillkürlich Lachen. So ein Tier hatte er noch nie gesehen, eines, das Schnürsenkel hatte. Die Realität schien sich jetzt gänzlich verabschiedet zu haben.

 

Nathanael versuchte ein wenig Klarheit in die Sache zu bringen: „Was bist du denn für ein Tier?“

 

Eine recht schwierige Frage stellst du da“, antwortete das Stiefel-Tier.

 

Das ist doch nicht schwierig, du musst doch wissen, was für ein Tier du bist!“, rief Nathanael.

 

Das weiß ich wohl, aber weil ich nicht weiß, was du für ein Tier du bist, will ich dir nicht antworten. Bist du nämlich ein Tier, das stärker ist als ich, könntest du mich fressen. "

 

Aber Stiefel-Tier, ich habe noch von keinem Tier gehört, das Stiefel-Tiere verspeist. Ich denke, sie sind einfach zu zäh“, sagte Nathanael.

 

Aber ich bin doch kein Stiefel-Tier! Ich bin ein Tier! "

 

Ach ", sprach Nathanael erleichtert, „da kannst du mal sehen, wie die Dinge sich aufklären, wenn zwei so verständige Leute wie wir sich unterhalten. Du hast also Augen, aber siehst nichts, weil du kein Stiefel bist, sondern ein Tier, das im Stiefel wohnt!“

 

Das stimmt wohl ", sprach die Stimme aus dem Stiefel, „wir sind sehr vernünftige und kluge Leute und lösen alle Missverständnisse rasch auf. Aber ich wohne hier nicht wirklich: Ich bin hier hineingefallen, daher ich komme nicht mehr heraus. Nun sage mir, was für ein Tier du bist! "





 

 

 

 

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